Was habe ich gelitten in den letzten Jahren. PiS und Kaczinski haben meine Liebe zu unserem Nachbarland Polen auf eine harte Probe gestellt. Seit 1991 war ich wohl 40 mal in Polen. Ich habe intensive Freundschaften gepflegt, Städtepartnerschaften mitgestaltet, Ausstellungen, Bildungsurlaube und Festivals organisiert und dabei die polnische Seele, wie ich sie mir vorstellte, lieben gelernt. Mein Freund, der Graudenzer Holzbildhauer Cezary Kopik schuf 1992 die wohl fünf Meter hohe Skulptur „Europa wird eins“, die jetzt im Syker Rathaus steht.
2004 lernte ich Emil Kowalski, den leider viel zu früh verstorbenen Klarinettisten kennen und lud ihn zum Syker Jazz Folk Bike Festival ein. Leszek Mozder gehörte da leider nicht mehr zur Band. Es folgten Vitold Rek, Vladyslav Sendecki, Jaroslaw Bester und Daniel Lubowicz. JFB 2016 war ganz dem Nachbarland gewidmet, Adam Baldych trat als Stargast auf.
Als fleißiger Leser der SZ konnte ich es zuletzt nicht mehr ertragen, was ich täglich über mein geliebtes Polen erfuhr. Unsere Nachbarn schienen uns mit feindlichem Dauerfeuer zu belegen, das sich aus kleinbürgerlichem Chauvinismus, bigotten Katholizismus und einem aus populistischen Gründen bewusst geschürten Revanchismus mit einer gehörigen Prise antideutschen Ressentiments zusammensetzte. So überlagerte ein dunkler Schatten das Polenbild. Viel lieber war mir das Polen der liberalen Exilanten, der Solidarnosc und des Free Jazz im Krakauer Alchemia.
Was das alles mit der Jazzahead zu tun hat? Sie hat mir das andere Polen gezeigt, das liberale, weltoffene Land mit den humorvollen Individualisten, den norwegischen Bassisten Ole Morten Vågan, der die Jazzszene dieses Landes als Bereicherung erlebt und mit Maciej Obara in einer wahrhaft europäischen Combo auch den europäischen Gedanken verkörpert. Oder die persönliche Begegnung mit alten Bekannten, dem Atom String Quartet aus Krakau, auf der Messe. Die Jazzahead hat mir die Augen geöffnet, dass es das vermeintlich verloren gegangene liebenswerte Polen immer noch gibt, wenn man sich nur die Mühe macht, genau hinzuschauen. Europa lebt von der persönlichen Begegnung, gemeinsamen Projekten und einer Vision für die gemeinsame(!) Zukunft. In diesen unsteten Zeiten beinhaltet der europäische Gedanke, dem wir eben auch die Jazzahead zu verdanken haben, gleichzeitig einen Appell, die Vielfalt der (europäischen) Kultur zu würdigen und als Jazzer das zu tun, was ohnehin unsere Herzensangelegenheit ist: sich aufeinander einzulassen, genau hinzuhören, die Ecken und Kanten des anderen lieben zu lernen und nicht gleich zu verzagen, wenn es mal schräge Töne gibt.
Gastautor: Gerd Harthus